„Ich dachte, dass sei Liebe“ – wie man den Unterschied zwischen Liebe und Co-Abhängigkeit erkennt
Wie ich im letzten Artikel geschrieben habe, musste ich den Unterschied zwischen Co-Abhängigkeit und Liebe auf die harte Tour lernen.
Tatsächlich wusste ich nicht einmal, dass es einen Unterschied gibt.
Ich kannte das Wort „Co-Abhängigkeit“, machte aber nie die Parallele zu meinem eigenen Leben.
Überall um mich herum höre ich viele verschiedene Geschichten über „wahre Liebe“, über die Suche nach einem „Seelenverwandten“ und über den Glauben, dass Glück im Leben mit der „richtigen Person kommt, die mich vervollständigen wird“. Dass Liebe etwas ist, dem man nicht entkommen kann und dass man somit auch machtlos ist, wenn man „nicht mehr liebt“. Gleichzeitig vervielfältigen sich Geschichten über zerbrochene Beziehungen. Viele Familien werden auseinander gerissen, weil ein Partner erkannt hat, dass die Beziehung zu seinem Partner nie „wahre Liebe“ war. Oder jemand anderes trat in sein Leben ein und entpuppte sich als der oder die lang ersehnte „Seelenverwandte“ und er oder sie hinterliess eine zerbrochene Familie. Paare driften auseinander und trennen sich durch ihre Realität von „wir lieben uns nicht mehr“. In der Zwischenzeit geraten einsame Menschen in eine Beziehung, die sie in den ersten Wochen und Monaten erfüllt, aber mit der Zeit verwandelt sie sich in eine Beziehung, in der sie sich gefangen, ängstlich und unsicher fühlen. Doch sie sind zu sehr in das Leben ihres Partners verstrickt, um aufstehen und Grenzen schaffen zu können. Sie haben zu stark Angst, wieder allein zu sein.
Überall in der Musik finden wir Texte wie diesen:
- „Du hast mich dazu gebracht, dich zu lieben. Ich wollte es nicht, ich wollte es nicht. Du hast mich traurig gemacht und ich glaube, du wusstest es die ganze Zeit… Du machtest mich glücklich, du machtest mich froh. Und es gab Zeiten, Liebling, da machtest du mich so traurig…
- Gib mir, gib mir, gib mir, wonach ich schreie; du weisst, du hast die Küsse, für die ich sterben würde. Du weisst, du hast mich dazu gebracht, dich zu lieben.
- Du bist mein Sonnenschein, mein einziger Sonnenschein. Du machst mich glücklich, wenn der Himmel grau ist… Bitte nimm mir nicht meinen Sonnenschein weg.“ (You are my sunshine, my only sunshine…)
- „Alls, was ich will, ist dich zu lieben…“
- „Du bist alles für mich…“
„Popmusik. Wenn es Gesetze gegen Werbung für co-abhängige Liebesbeziehungen gäbe, sässe Popmusik im Gefängnis, bis ihre Platten vergessen wären. Das gleiche gilt für viele Filme und eine Menge Bücher, sowohl Sachbücher als auch Romane.“
Du könntest fragen:
- Was ist denn falsch an solchen intensiven Gefühlen?
- Was ist falsch an einer verzehrenden, fast schon verehrenden Haltung gegenüber der Person, die man liebt?
- Was ist falsch an der Erkenntnis, dass du deinen eigentlichen Partner nie wirklich geliebt hast und ihn für „wahre Liebe“ zurücklässt?
- Was ist falsch daran, das zu tun, was dein Herz dir sagt?
Nun. Heute bin ich hier, um dir zu sagen, dass das keine Liebe ist. Dass dies als Co-Abhängigkeit zu verstehen ist.
Darlene Lancer, Expertin für Co-Abhängikeit und Autorin von Büchern wie „Codependency for Dummies“ („Co-Abhängigkeit für Anfänger“) und „Conquering Shame and Codependency: 8 Steps to Freeing the True You“ (Wie man Scham und Co-Abhängikeit erobert: 8 Schritte zur Befreiung von deinem wahren Ich“) erklärt in einem ihrer Artikel dieses Wort so:
Co- Abhängigkeit wird als „Beziehungsabhängigkeit“ oder „Liebessucht“ bezeichnet. Die Fokussierung auf andere hilft, unseren Schmerz und unsere innere Leere zu lindern, aber wenn wir uns selbst ignorieren, wächst dieser Schmerz nur. Diese Gewohnheit wird zu einem kreisförmigen, sich selbst aufrechterhaltenden System, das ein Eigenleben annimmt. Unser Denken wird obsessiv, und unser Verhalten kann trotz negativer Folgen zwanghaft sein. Als Beispiele können wir einen Partner oder Ex anrufen, von dem wir wissen, dass wir es nicht sollten, uns selbst oder unsere Grundwerte aufs Spiel setzen, um jemandem zu gefallen, oder aus Eifersucht oder Angst einer Person nachspionieren. Aus diesem Grund wird die Co-Abhängigkeit als Sucht bezeichnet (….)
Sie erklärt die drei möglichen Phasen einer solchen abhängigen Beziehung.
Frühes Stadium
Das frühe Stadium könnte wie jede romantische Beziehung aussehen, mit erhöhter Zuwendung und Abhängigkeit von Ihrem Partner und dem Wunsch, ihm oder ihr zu gefallen. Im Fall einer Co-Abhängigkeit können wir jedoch so auf die Person fixiert sein, dass wir problematisches Verhalten leugnen oder rationalisieren, unsere Wahrnehmungen in Frage stellen, gesunde Grenzen nicht aufrechterhalten und unsere eigenen Freunde und Aktivitäten aufgeben.
Mittleres Stadium
Allmählich wird ein erhöhter Aufwand erforderlich, um schmerzhafte Aspekte der Beziehung zu minimieren.. Angst, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe setzen ein. Mit der Zeit nimmt unser Selbstwertgefühl ab, da wir immer mehr von unserer eigenen Persönlichkeit gefährden, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Wut, Enttäuschung und Groll wachsen. In der Zwischenzeit ermöglichen oder versuchen wir, unseren Partner durch Konformität, Manipulation, Nörgeln oder Schuldzuweisungen zu verändern. Vielleicht verstecken wir Probleme und ziehen uns von Familie und Freunden zurück. Es mag Missbrauch oder Gewalt geben. Unsere Stimmung verschlechtert sich, und Besessenheit, Abhängigkeit und Konflikt, Rückzug oder Konformität nehmen zu. Wir könnten in dieser Zeit andere Suchtverhalten entwickeln, damit wir damit umgehen können, wie z.B. Essen, Diäten, Einkaufen, Arbeiten oder Drogenmissbrauch.
Spätstadium
Jetzt beginnen die emotionalen Symptome und die Verhaltenssymptome unsere Gesundheit zu beeinflussen. Wir können stressbedingte Störungen wie Verdauungs- und Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Muskelverspannungen oder -schmerzen, Essstörungen, Allergien, Herzerkrankungen oder andere gesundheitliche Probleme haben. Obsessives, zwanghaftes Verhalten oder andere Abhängigkeiten nehmen zu, ebenso wie mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstpflege. Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Wut, Depression und Verzweiflung wachsen.
Vor mehr als einem Jahrzehnt, als ich so starke Emotionen für diesen Mann empfand, von dem ich glaubte, dass ich ihn zutiefst liebte, war ich mir sicher, dass dies Liebe war. Wahre Liebe.
Aus dieser Überzeugung heraus, dass es sich um wahre Liebe handelte, begrub ich die Teile von mir, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie ihm nicht gefallen würden. Ich vergrub die Träume, von denen ich wusste, dass er sie nicht teilen würde. Ich legte Gedanken weg, die mir sagten, dass er nicht wirklich die Art von Mann war, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Ich wies alle Bedenken von Freunden zurück, die mir sagten, dass sie nicht dachten, dass dieser Mann das sei, was ich in meinem Leben brauche. Freunde, die mich komplett von dieser Beziehung in Anspruch genommen sahen.
Ganz einfach, weil, so dachte ich, die wahre Liebe wichtiger ist als alles, was ich träumen oder wünschen könnte. Wichtig war doch nur, dass ich bei ihm sein kann, dass ich zu ihm gehöre.
Die Tragödie ist folgende:
Unsere Gesellschaft malt diese Art von Liebe als etwas Schönes und Romantisches – was sogar verständlich ist.
Man fühlt sich lebendig. Es ist wie das Betreten von etwas, das viel realer ist als jede andere Beziehung. Lieder, Bücher und Filme sagen uns, dass dies die wahre Liebe ist. Dass wir unseren Herzen folgen müssen, und wir dann wissen, welche Entscheidung wir treffen sollen.
So zerfallen Ehen. Singles geraten in destruktive Beziehungen.
Menschen, die ehrlich nach „wahrer Liebe“ suchen, treffen Entscheidungen, die sie weiter von der Erfüllung, echten Beziehungen und einer gesunden Ehe und Familie entfernen.
Als ich anfing, das ganze Konzept der co-abhängigen Beziehungen zu begreifen, half es mir, zu verstehen, dass sich dies bei mir genau so verhielt: Ich war zutiefst abhängig, ja süchtig in dieser Beziehung. Das war keine Liebe.
Heute, wo ich glücklich mit Benny verheiratet bin, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass meine Liebe zu ihm ganz anders ist. Schon zu Beginn unserer Ehe wusste ich, warum ich ihn geheiratet hatte. Er hatte sich mir gegenüber viele Male bewiesen, bevor wir heirateten. Seine Art, mich würdevoll zu behandeln, mich zu lieben und das Beste aus mir herauszuholen, war in unserer Beziehung immer eine Realität. Die Art und Weise, wie er mit mir umging, liess mich wachsen. Dies, indem ich entdeckte, wer ich wirklich bin, und wer er wirklich ist. Er ehrte und liebte mich für meine Einzigartigkeit und feierte mich für meine Gedanken, Träume und Hoffnungen – sogar dann, wenn er sie selbst nicht teilte.
Das war mir immer bewusst und ich war tief dankbar.
Und trotzdem. Bis mehrere Jahre in unsere Ehe hinein sehnte ich mich danach, ihn so zu lieben, wie ich es bei diesem anderen Mann tat. Denn ich dachte, dass dies am Ende „wahre, echte, tiefe, schöne Liebe“ wäre.
Heute, nach zehn Jahren in unserer Ehe, bin ich an einem Ort, an dem ich die Liebe, die Benny und ich füreinander haben, zutiefst wertschätze. Zu verstehen, dass diese Gefühle, die ich für den anderen Mann hatte, keine Liebe waren, auch wenn sie mir so real erschienen, machte mich frei, das, was ich habe, voll zu schätzen und zu geniessen. Ich staune über die Person, die ich geheiratet habe. Ich bin über alle Masse dankbar, mein Leben mit diesem Mann verbringen zu dürfen. Verstehe mich richtig. Ich bin mir seine Fehler und Unvollkommenheiten sehr wohl bewusst. Aber ich weiss, dass sein Herz und wer er als Mensch ist, ist das Beste ist, was mir je passieren konnte.
Ich kenne die Möglichkeit, dass es in dieser Welt eine andere Person gibt, die in der Lage ist, so starke Gefühle in mir zu erzeugen, wie dies in Vergangenheit der Fall war. Das kann jedem passieren, jederzeit, unabhängig von starker Überzeugung, hohem moralischen Standard oder echter Liebe zu Gott und seinem Wort.
Der Unterschied besteht darin, dass ich heute gut vorbereitet bin, solchen Gefühlen mit der Wahrheit zu begegnen, dass Co-Abhängigkeit keine wahre Liebe ist. Diese Co-Abhängigkeit ist genau das: eine Co-Abhängigkeit. Eine Beziehungssucht. Etwas, was dein Leben zerstören kann, dich deiner Familie und Freunde beraubt.
Beim Durchlesen des folgenden Fragebogens war ich erstaunt, wie viele dieser Fragen ich in der Vergangenheit mit „ja“ beantwortet hätte. Eigentlich jede einzelne Frage. Deshalb werde ich diesen Fragebogen beifügen, der von Adriane Michaud erstellt und hier veröffentlicht wurde, um dir zu helfen, einen Selbst-Check zu diesem Thema durchzuführen:
- Fühlst du dich verantwortlich für andere Menschen – ihre Gefühle, Gedanken, Handlungen, Entscheidungen, Wünsche, Bedürfnisse, Nöte, ihr Wohlbefinden und ihr Schicksal?
- Fühlst du dich gezwungen, Menschen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen oder indem du versuchst, dich um ihre Gefühle zu kümmern?
- Findest du es einfacher, Wut über Ungerechtigkeiten, die anderen angetan wurden, zu fühlen und auszudrücken als über Ungerechtigkeiten, die dir angetan wurden?
- Fühlst du dich am sichersten und wohlsten, wenn du andere beschenkst?
- Fühlst du dich unsicher und schuldig, wenn dich jemand beschenkt?
- Fühlst du dich leer, gelangweilt und wertlos, wenn du dich nicht um jemand anderen kümmerst oder ihm hilfst, ein Problem zu lösen oder eine Krise zu bewältigen?
- Verlierst du das Interesse an deinem eigenen Leben, wenn du verliebt bist?
- Bleibst du in Beziehungen, die nicht funktionieren? Tolerierst du Missbrauch, um die Menschen dazu zu bringen, dich zu lieben?
- Verlässt du ungesunde Beziehungen, nur um neue einzugehen, die auch nicht funktionieren?
Wenn du, wie ich in der Vergangenheit, die meisten dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet hast, möchte ich dich ermutigen, dich tiefer mit dem Thema Co-Abhängigkeit zu befassen.
Mein Lieblingsbuch zum Thema heisst „Mut zur Liebe„, geschrieben von Hemfelt, Minirth, Meier.
Es gibt noch einiges mehr an Literatur auf Deutsch. Diese ist im Bücherhandel unter dem Suchwort CO-Abhängigkeit einfach zu finden.
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